JEDES HOLZ HAT SEINEN EIGENEN KLANG
Thomas Hornemann


Auf einer Fahrt durch Ungarn, pannonische Tiefebene, sieht Peter Pilz wie jemand mit einem Traktor und schwerer Eisenkette hunderte alte Apfelbäume aus dem Erdreich reißt; da liegen sie – knorrige Gesellen, strecken anklagend ihre Wurzelgeflechte gegen den Himmel. Kurzentschlossen kauft P. die Apfelbäume, lädt alle auf einen Lastwagen, fährt ins Burgenland nach Eisenberg und lässt Bäume in Bretter zersägen, Stücke von etwa gleicher Länge und Dicke und baut mit den Stücken auf einer Wiese das Apfelbaumholzhaus.

Zunächst aber muss ein Zement-Fundament gegossen werden – eine plane Unterfläche ist absolut notwendig: Gleichzeitig fertigt P. ein Modell im Maßstab 1:10; aus kleinen Holzstücken zusammengeklebt zeigt es bereits den typischen Wechsel zwischen einer Lage Längsholz (horizontale Linien) mit einer Lage kurzem Stirnholz (senkrechte Fugen). Diese Struktur zieht sich durch Modell wie auch durch den gesamten späteren Bau. Es ist sein konstitutives Element. Ein weiteres konstitutives Element ist das des Stapelns: Man muss sich vergegenwärtigen, wie wohltuend die vor den Häusern aufgeschichteten Holzscheite (Brennvorräte für den Winter) sich dem Auge darbieten: Durch schlichtes Stapeln entstehen wie von selbst Rhythmus und Struktur – und Schattenfugen erzeugen ein grafisches Netz, das zusammen mit den Formen der Scheite verschränkt in ein bizarres Muster, sich zu einem Bildwerk fügt. P. übernimmt das Stapeln, wenngleich seine Scheite eher „genormt“, in ihren Abmessungen einander ähnlich sind; das ist weit weniger wichtig als die Tatsache, dass beim Stapeln kein Werkzeug zur Anwendung kommt. P. arbeitet ohne Lot und ohne Senkblei, ohne Winkelmaß und Schlagschnur, er verwendet kein Metermaß, keinen Hammer und keinen einzigen Nagel – und schon gar nicht Storchschnabel, Schublehre oder Taschenrechner. Schicht um Schicht stapelt er aufeinander – eine Schicht Längsholz, eine Schicht Stirnholz – kontrolliert mit den Augen, mit den Sinnen; droht etwas, aus der Balance zu geraten, muss er es wieder abtragen und neu stapeln – eine Schicht Längsholz, eine Schicht Stirnholz…


Der Apfelbaumholzkubus kann betreten werden – P. hat einen „Eingang“ konstruiert – es öffnet sich aber kein Raum im Innern. Eine Art Unterstand, gewiss, aber bewegen kann man sich darin nicht. Ebenso schlicht hat er drei Öffnungen gestaltet, aus denen man aus dem Kubus herausschauen kann. Als „Fenster“ sind sie nicht zu begreifen, es sind, wie auch der Eingang, „plastische Durchlässe“, die den Apfelbaumholzkubus deutlich als Skulptur definieren. Vorstellbar wäre, sich bei plötzlich einsetzendem Regen, oder einem Schneesturm unter die schützenden Apfelbaumhölzer zu flüchten: Den Geruch des Holzes einatmen, dem Klang des fallenden Regens auf das Holz nachlauschen – einen weiteren Zweck, oder gar eine Funktion hat der Kubus nicht. Seine schlichte Schönheit erinnert formal an die Architektur der amerikanischen Shaker, erinnert in jeder Hinsicht an die Einfachheit ihrer Gestaltungen und ist damit weit entfernt von jeglichem Design-chic und modischen Firlefanz: Eine beinahe schmucklose Strenge lässt den Apfelbaumholzkubus als ein Werk des Minimalismus erscheinen: Eine einfach Systematik (Stapeln = Linienführung versus Rhythmik der Holzfugen ) fügt dem Kubus etwas wie ein apartes „Kleid“ hinzu – nimmt ihm jede puristische Dogmatik und verleiht ihm Leichtigkeit sowie eine bestechende Fernwirkung zwischen umgebenden Sträuchern, Graswuchs und Bäumen, mit denen er auf das gelungenste korrespondiert.

Thomas Hornemann / Berlin, 2010


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