Beschreibung eines vergangenen Kunstwerks


Eine Grube, eine Mauer auf grünem Rasen in einem Innenhof. Eine in einem Raum aufgestellte Wand, Fotos an zwei Wänden eines dahinterliegenden Raumes. Südburgenland im Sommer 2000.
Ein Loch im Rasen, ein Geviert , etwa die Grösse eines Grabes, sauer gestochen aus dem Lehm, an seiner einen Längsseite eine Mauer aus eben diesem Lehm, der aus der Grube kommt, analog enstanden, in die Höhe gewachsen wie das Loch in die Tiefe. Loch und Mauer gehören zueinander, sind Masse und Nichts, Volumen und Vakuum, Sein und Nichtsein, ein Vexierbild trotz der augenfälligen Erkennbarkeit seines Werdens und Gewordenseins, seiner Bedingung des Gewordenseins des einen durch das Vergehen und Werden des anderen, und dennoch rätselhaft in der Gesetzmäßigkeit seiner aufeinanderbezogenen Einfachheit und Schönheit.
Das Werden und Vergehen, die Höhe und die Tiefe sind das Rätsel, das die Zeit und den Raum wie in einem aufgeschlagenen Buch der Erdgeschichte die Wunder der Zeitschichten erlesen läßt.
Das Unterste wird das Oberste im Ablauf der Arbeit, und aus der Gefahr des Abgrunds wird der Schutz der Mauer vor dieser Gefahr.
Die Lehmschichten, ausgegraben und aufgeschichtet, machen die Spuren von Erd- und Menschengeschichte sichtbar, das Innere ist nach außen gestülpt, der durch die Zeit, durch die Luft- und Lichtlosigkeit schwer gewordene und verfärbte Lehm verdichtet sich, nach oben geschaufelt. Schicht für Schicht zu ruhender Materie in eben den Farbschattierungen, die das Innere dem Auge verborgen hatte und nun "entborgen" Wahrheit wird (im Heideggerschen Sinne der Wahrheit als Entborgenheit, Aufdeckung des verborgenen Sinns).
Die Mauer steht fest auf der Erde, die Gefahr einzustürzen ist trotz des Abgrundes an ihrem Fuß nicht sichtbar, wohl aber spürbar "Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch" (Friedrich Hölderlin).
Faszinierend sind die architektonisch geraden Kanten der Mauer wie des Lochs, ihre glattpoliert erscheinenden Oberflächen, ihre vielfältigen Schattierungen der Brauntöne zwischen Dunkel und Hell, und wenn die Sonne über den Innenhof wandert, beziehungsweise sich der Lehm und das grüne Gras um die Sonne dreht, entstehen scharfe Schatten, die die Konturen der Mauer noch einmal -verkürzt- auf die Erde werfen. Land-Art, aus burgenländischem Lehm gewonnen, im Grenzbereich der Geschichte.
Ein paar Schritte von der Mauer-Grube-Skulptur entfernt führt vom Innenhof aus eine zinkbeschlageneTür (von Walter Pichler) in die Bar mit dem dahinterliegenden Raum, der -noch leer- als Bibliothek vorgesehen ist. In diesem Bar-Innenraum hinein hat Peter Pilz eine weitere Lehmmauer gestellt, eine freistehende Wand parallel zur Tür, die Fläche des Raumes teilend, sie reicht durch die türlose Öffnung, rechts bis in die Bibliothek.
An deren Wänden sind rechts und links Fotos befestigt, an den Längsseiten des Raumes, jeweils noch einen Streifen der Breitseite berührend. Daraus ergibt sich für den Betrachter von verschiedenen Standorten der Besichtigung aus eine Verlängerung der Perspektive, eine Fortsetzung der Fläche mit sowohl vom Materialcharakter als auch vom ästhetischen Charakter aus unterschiedlichen Mitteln.
Die Fotos in der Bibliothek geben - im naturgetreuen Maßstab- die Wände der Lehmgruft aus dem Innenhof wieder. Was wir außen nur aus der Vogelperspektive zu sehen imstande sind, weil wir jeweils nur von oben in das Tief hineinsehen können, wird auf ihnen mit dem Auge begehbar, die Sensation der Empfindung von Vertikale wird zum horizontalen Bühnenraum erweitert. Sie spiegeln noch einmal die Energie und die Farbigkeit des Werkprozesses wider, sind im wörtlichsten Sinne LICHT-BILDER aus den Tiefenschichten des Lehms.
Die dem Leben gegenüber gleichgültige Natur wird auf ihnen zu einem Raum gewandelt, der in der Beleuchtung des Augenblicks sinn-voll wird. Das Geheimnis dieses Raumes ist, daß die gesetzte Mauer mit den Linien der frei hängenden Fotos so ineinander übergehen wie Grund und Horizont. Es entsteht - durch die abgeknickten Kanten der Fotos - der Eindruck einr lichten Höhle. Raum und Nebenraum wachsen ineinander und werden größer im gegenseitigen Bezug. Das Profil der Oberfläche gewinnt in der Verlängerung einer Tiefenstruktur, die Erkennen, Erinnerung zuläßt.
Die Höhe hat nichts Enges, sie erweist sich als ein Gang ins Freie, Lichte. Die Oberflächen struktur der Innenmauer ist eine andere als die Lehmwand im Innenhof. Ihre Schichtung verrät die Entstehung aus geformten Lehmziegeln, grob gehauen, nicht glatt poliert. Der Tiefenstruktur aus zerronnener Zeit der Erdgeschichte im Außenraum steht die sichtbare - mühevolle- Handarbeit in dem geometrischen Gebilde des Innenraums gegenüber (im gewöhnlichen Denken hätte es umgekehrt sein müssen: glatter Verputz im Innenraum, raue Naturbelassenheit außen, aber die Umkehrung macht die Dinge deutlicher.). Aber auch hier, im Inneren wie draußen, zeugt die Fläche von Zeichen, Schriftzeichen eines zu lesenden Buches, eines abzulesenden Textes über die Zusammenhänge von Materie und Form, Idee und Gestalt, Endlichkeit und Unendlichkeit. Auf den ersten Blick ähnelt sie zerknitterten Foliantblättern.
Doch merkwürdig ist die Stärke, mit der die handgehauenen Runen nach Entzifferung gieren un d verlangen, aus ihnen das Geheimnis herauszulesen. Nicht eine vollständige Antwort, aber einen Hinweis geben die Fotos an den Wänden dahinter, im Nebenraum, als würden sie dort, wo von der Bestimmung her Büchr in Regalen stehen sollten, wie ein aufgeschlagenes Buch auf einer bestimmten Seite die Deutung ablesbar machen, auch hier wiedr Farbgeschichten, Erdgeschichten.
Ein Raum definiert sich durch seine Mauer. Eine Mauer, freistehend in einen Raum gestellt, verliert ihre praktische Funktion. Diese Mauer aber gewinnt eine Anschaulichkeit, sie macht das Unbewußte, das Unreflektierte des Raumes bewußt, Inszenierung einr den Sinnen sich öffnenden kulturschaffenden Idee, sie ist sichtbar, riechbar, abtastbar, auch meßbar, ein theatralisches Ereignis aus Material und Geometrie.
Eine Erweiterung des Horizontes menschlicher Erfahrung in dem physischen Erleben des Verhältnisses, das zwischen dem Material (Lehm) und seiner Konstruktion (Lehmziegel) in seiner Fügbarkeit und Anschaulichkeit besteht. Die Beständigkeit der Form wie des Materials ist das bestechend Tröstende in unserer unbeständigen Welt. Die Mauern sind nicht mehr. Im Innenhof ist das Loch zugeschüttet. Regen hat den Lehm unregelmäßig nach unten gespült. Auf der Schräge der Versenkung wächst frisches Gras. Das Kunstwerk ist unsichtbar geworden.
Es war nur einen Augenblick der Geschichte zum Augen-Schein gekommen.ö Die Kultur des Innenhofes hat sich über der gerade noch
sichtbaren Wunde geschlossen und der künstlichen Grasbepflanzung zurückgegeben, was die Kunst aus ihr geformt hatt.

Paris, im Oktober 2000
Ellen Hammern


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