Baden verboten
Andreas Leopold Hofbauer


Camille: Ich hab mir so ein Ding gekauft heute morgen ... !
Paul: Was für ein Ding?
[längere Pause]
Paul [nachdrücklich]: Was für ein Ding?

Nackt und nass sprang Archimedes aus seiner Badewanne und lief sodann – lauthals „Heureka!“ rufend – durch die Straßen von Syrakus. Gefunden hatte er in seiner Wanne der Legende nach das nach ihm benannte Prinzip, dessen Gesetz und Theorie er später in seiner Schrift Über schwimmende Körper niederlegte, was ihn zum Vater der Hydrostatik werden ließ. Eine Geschichte, die bis dato gerne von einigen Schulmeistern der Physik zur Unterrichtsauflockerung benutzt wird. Ist nun auch nicht gleich jeder schwimmende Körper ein badender, so wird doch eines deutlich: Man kann nicht nur in einer Wanne anderes tun als baden, sondern auch mit ihr anderes anstellen.

Letzteres bezeugt sich neuerdings eindrücklich durch die von Peter Pilz unter dem Titel „Baden verboten!“ versammelten Bank/Wannen. Die Halbschachtel einer Wanne wird mit Schnitten so versehen, dass diese zu Scharnieren werden, entlang derer dann die Halbschachtel neu zur Sitzbank gefaltet und zusammengesetzt wird. Im Speziellen sind diese Bank/Wannen nun sozusagen Berliner Modelle oder zumindest solche, die irgendwann hier ihre frühere Funktion erfüllten und nun einer neuen zugeführt werden. Eine Serie von sechs Stücken, die von Erik Tannhäuser in seiner Werkstatt in Weißensee nach exakten Vorgaben hergestellt wurden. Lackiert mit dem Mitsubishi-Autolack Nassau-Orange. Das klingt nach saftiger Frucht und exotischem Luxus. Ganz unschuldig und wahrscheinlich ungewollt spielt es auch auf etwas an, das mit dem Wort „nassauern“ verbunden ist. Vorgeben etwas zu sein, was man nicht ist und daraus Nutzen ziehen. Hinterhältige Absicht trifft für die Bank/Wannen freilich nicht zu, ziehen sie selbst doch gar keinen Nutzen aus ihrem Hier- und So-Sein; wir hingegen – als Nutzer (Sitzer oder Besitzer) oder Betrachter – einen umso größeren. Bei all dem handelt es sich darüber hinaus auch keineswegs um eine Zweckentfremdung, wie dies bei der Verwendung von Badewannen als Viehtränken in geringem, bei der ungefragten Verwendung einer Beuysschen Badewanne etwa als Bierflaschenkühler für den Leverkusener SPD-Kreisverband in hohem Maße gilt. Es handelt sich um eine ironische Umwidmung. Warum aber „ironisch“?

Unsere Berliner Modelle haben und hatten also zweifellos Funktionen. Die Bank/Wannen sind keine Hybridobjekte, wie zum Beispiel eine ausziehbare Bettcouch. Ihr Charme besteht gerade darin, dass sie ihre Vergangenheit (das, was sie einstmals waren) nicht verleugnen, sondern weiterhin unverhohlen in ihrer nunmehrigen Gestalt zur Schau stellen. Ein so offener Umgang mit der eigenen Ambivalenz verunsichert ein bisschen und man zögert, der Einladung Platz zu nehmen sofort und ohne Umschweife nachzukommen. Dabei ist der Funktionswechsel (... eine Badewanne ist zum Baden da, eine Bank zum Sitzen ...) eher nebensächlich und vielleicht gar nur für Designer von Interesse. Was uns hier handgreiflich vor Augen geführt wird, ist eine Transformation der Fassung, ihr Kippen. Die Bank/Wannen der Serie „Baden verboten!“ sind keine Kippbilder (sie sind Wannen als Bänke), evozieren aber solche durch ihre und in unserer Vorstellung. Solchen Kippbildern wurden nicht zuletzt von Ludwig Wittgenstein und Wilfred R. Bion die höheren philosophischen Weihen erteilt. Einerseits bleiben sie in erkenntnistheoretischer Hinsicht und auf gleichnishafte Weise rätselhaft, zum anderen sind sie uns wohlbekannt. Zu den berühmten Beispielen gehören das Hasen-/Entenkopf-Bild von Jastrow, das Vasen-/Gesichtsbild nach Rubin (der so genannte Rubin-Kelch), das Kippbild von der alte Hexe und der jungen Schönheit und andere mehr. Die Bank/Wannen von „Baden verboten!“ erzeugen in diesem Sinne spielerisch eine Unsicherheit, die sich zum einen an ihnen selbst zeigt: Haben wir es mit Badewannen zu tun, die sich nun als Sitzbänke generieren, oder mit Sitzbänken, die sich jederzeit wieder zu Badewannen umstecken und zurückfalten lassen? Zum anderen manifestiert sich Unsicherheit zwischen dem Titel „Baden verboten!“ und den Bank/Wannen selbst: Wer käme auf die Idee, auf einer Bank baden zu wollen? Da uns aber hier wie überall der Archimedische Punkt abhanden gekommen ist, von dem aus man das Ganze zu beurteilen oder zu vermessen vermöchte, so bestätigt sich, dass man die zwei ins Kippbild eingelassenen Einzelbilder auch niemals gleichzeitig zu sehen vermag. Trotz ihrer offensichtlichen neu gewonnenen Funktionalität, ist die Bank/Wanne ein seltsames Ding. Gibt sie doch zu denken. Und gerade die Verarbeitung eines funktionalen Objekts zu einem neuen profanen und trivialen Allerwelts-Ding unterstreicht: You have to know how to handle things ... to know what a great thing is. Sätze, die bemerkenswerter Weise einmal ein deutscher Denker aufzeichnete, den man nicht gerade nachsagen kann, eine besondere Nähe zum Englischen gehegt zu haben.

Haben wir uns erst einmal gesetzt, hören wir allerdings auf an der Stabilität der Bank/Wannen zu zweifeln. Sie kippen nicht um.

In zwei von mehreren aufeinander folgenden Badezimmerszenen in Jean-Luc Godards Film Le Mépris von 1963 sehen wir zuerst Michel Piccoli (als Paul) und dann Brigitte Bardot (als Camille) in derselben Wanne sitzen. Glauben wir Paul, wurde nicht einmal das Wasser ausgetauscht. In der Badewanne raucht er Zigarre, trägt Hut und liest Zeitung. Nach eigener Aussage möchte er Dean Martin in Some came running gleichen. Camille, die eine schwarze Perücke überm blonden Haar trägt, missfällt dies und sie vergleicht ihn mit einem Esel aus einer Fabel. Als sie später selbst in der Wanne sitzt (allerdings ohne Perücke und mit blondem Haar, das ausgesprochen an das Brigitte Bardots erinnert), liest sie Luc Mouletts (selbst Filmregisseur) eben erschienene Monografie über den Regisseur Fritz Lang (der im Film Le Mépris Godards wiederum eine nicht unwesentliche Rolle als Schauspieler spielt). Das einzige, was bei all den Referenzen und Parallelisierungen, den unzähligen Querverweisen auf kleinstem Raum unveränderlich bleibt, ist die Wanne.

Höchste Zeit also, dass einer kommt, das Wasser auskippt ... und zum Trennschneider greift. Heureka!

Andreas Leopold Hofbauer
Berlin im Advent 2007


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